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Emotionskriegsführung

Desinformation und Propaganda sind integrale Herausforderungen in der Sicherheitspolitik. Dennoch findet eine breite Debatte zu diesem Thema kaum statt. Oft ist das Problem, dass die Konzepte und Begrifflichkeiten sehr abstrakt und teilweise auch missverständlich sind.  Um hier vorzubeugen und die geostrategischen Perspektiven in den Fokus zu rücken, schlagen wir vor, von Emotions-, Konnotations- oder Assoziationskriegsführung zu sprechen. 

Der neue «Bericht zur Sicherheitspolitik der Schweiz» des Bundesrates erklärt die Themen Desinformation und Propaganda zu einer integralen Herausforderung in der Sicherheitspolitik. Eine breite Debatte zu diesem Thema findet jedoch leider nicht statt, weil die Konzepte und Begrifflichkeiten, die in diesem Zusammenhang meist verwendet werden, sehr abstrakt und teilweise missverständlich sind. So wird unter dem Begriff Beeinflussungsoperationen oft nur eine kurzfristige, taktisch-operative Einflussnahme angenommen, was langfristige und tiefgreifende Effekte und Veränderungen vernachlässigt. Dies gilt insbesondere auch für die Debatte über Wahlbeeinflussungen. Darüber hinaus werden die Themen Cyber- und Informationskriegsführung zu stark konzeptionell vermischt, was ebenfalls zu einer technisch-operativen Überbetonung führt und die strategischen und geopolitischen Fragen in den Schatten stellt. Deshalb müssen wir für das, was bis anhin als Propaganda, Informationskrieg oder psychologische Operationen bezeichnet wurde, neue Begrifflichkeiten finden.  Die alten Konzepte können die Tragweite neuerer Phänomene nicht mehr fassen und lösen Konfusion in der Kommunikation aus. Dass dabei der Cyberraum und die digitale Transformation, etwa mit der Entwicklung im Bereich Microtargeting und Deepfake, eine dominante Rolle spielen, wird damit nicht verneint. Wir schlagen aber dennoch vor, von Emotions-, Konnotations- oder Assoziationskriegsführung zu sprechen, um spezifischen Missverständnissen vorzubeugen und die geostrategischen Aspekte in den Fokus zu rücken.

«The unrealized value of cyberspace, and what makes it so dangerous, is it allows direct access to the individual and to the public at large. This access, when used correctly, provides actors in cyberspace the ability to influence public opinion and shape the narrative of ongoing operations.» Captain David Morin

Informationskrieg und Deutungshoheit

Die Missverständnisse beginnen damit, dass der Begriff Information heute insbesondere im sicherheitspolitischen Diskurs und eben in Zusammenhang mit Cyber fast nur noch technisch respektive technologisch verstanden und behandelt wird. Informationen werden dabei vor allem als Daten interpretiert, die übertragen und verarbeitet werden müssen. Schliesslich bedeutet die Abkürzung IT auch Informationstechnologie. Diese Verwirrung führt dann beispielsweise dazu, dass die Bereiche Cyber und Information in einem seltsamen Nexus zusammenkommen und je länger je weniger konzeptionell sauber getrennt werden. Am Beispiel der chinesischen Doktrin zeigt sich jedoch, dass Information und die dazugehörigen Konzepte wie Informationshoheit, Informationsschirm oder informationsgetriebene Kriegsführung nicht nur technologisch verstanden werden, sondern vielmehr holistisch. Mediale, rechtliche, politische, symbolische, psychologische und nachrichtendienstliche Kriegsführung werden integral verstanden und behandelt. Die Chinesen zeigen dabei exemplarisch, was narrative Machtprojektion bedeuten könnte. Es geht um Deutungshoheit und langfristige Beeinflussung im geschickten Zusammenspiel von Hinter- und Vordergründigem.

Weiter wird oft das klassische Propaganda-Konzept auf die heutige Zeit übertragen. Propaganda und psychologische Operationen bleiben dabei aber abstrakte Konzepte, die auch mit der Welt der Spionage und Geheimdienste in Verbindung gebracht werden. Dabei wird kontraintuitiv die operativ-taktische Ebene betont, bei der Menschen sehr kurzfristig und für einen unmittelbaren Zweck beeinflusst werden sollen. Langfristige, strategische Effekte werden so sträflich vernachlässigt.

Enttechnokratisierung der Begrifflichkeiten

Wir schlagen also eine Enttechnokratisierung der Konzepte und neue Begrifflichkeiten vor, die viel direkter andeuten, was damit tatsächlich gemeint ist. So könnte man beispielsweise neu von

  • Emotionskriegsführung
  • Konnotationskriegsführung
  • Assoziationskriegsführung

sprechen. Dabei stünde viel mehr im Zentrum, dass es bei dieser Form der Kriegsführung um den Einbezug von Bildern, Symbolen und Gefühlen geht. Damit rücken Themenfelder wie Kultur, Kunst und Geschichtsdeutung in den Vordergrund. Subtile Formen von Machtausübung, wie etwa der Einsatz von Literatur, Musik oder Nudging, die auf den Kern der Gesellschaft zielen, könnten dabei konzeptionell fokussiert werden. Es geht also darum, die Emotionen zu beeinflussen. Es geht darum, wie positive oder negative Konnotationen ausgelöst und verinnerlicht, welche Assoziationen mit einem bestimmten Begriff oder Land verwurzelt werden können. Dies zielt dann auf tieferliegende Aspekte, wie etwa das Wertesystem, die Kohäsion einer Gemeinschaft, Institutionenlegitimität aber auf das zwischenmenschliche und institutionelle Vertrauen. Damit werden die Resilienz, Widerstandsfähigkeit und Kampfbereitschaft einer Gesellschaft gestärkt oder eben geschwächt. Solche Phänomene und Effekte können dann letztlich nicht mehr mit reinen Ursache- und Wirkungsprinzipien analysiert werden. Sie sind nicht kausal zu verstehen. Dabei eingezogen wird ebenfalls die soziokulturelle und sozialpsychologische Ebene mit dem Fokus auf eine langfristige und subtile Beeinflussung. Schaeublin und Abatis nennen es die Schlacht um Geschichten, den narrativen Kampf darum, was noch gesagt werden darf und was nicht. Deutungen und Konnotation haben die Macht zu limitieren, was artikulierbar ist, den offene Dialog einzuschränken und Schweigespiralen auszulösen («dynamics of silencing»).

Narrative Macht und Spin Politics

Denn wenn wir genau hinschauen, um was es bei Social Media Warfare, Fakenews-Debatten und Informationsoperationen geht, merken wir, dass  es nicht um kurzfristige, taktisch-operative Effekte, sondern um narrative MachtSpin Politics und Deutungshoheit geht. Oder, wie es Emilian Kavalski sagen würde: «defining, shaping and enforcing what is normal and acceptable. This creates legitimacy.»

Urs Vögeli und Tabea Geissbühler

Literaturverzeichnis:

Bonfanti, Matteo E. (2020): The weaponisation of synthetic media: what threat does this pose to national security? In: ARI 93/2020, 14 July 2020. Elcano Royal Institute.

Dawson, Jessica (2021): Microtargeting as Information Warfare. The Cyber Defense Review, Volume 6, Number 1, Winter 2021.

Kavalski, Emilian (2014): The Shadows of Normative Power in Asia: Framing the International Agency of China, India, and Japan. In: Pacific Focus, Vol. XXIX, No. 3, 303-328.

Maschmeyer, Lennart (2021): Digitale Desinformation: Erkenntnisse aus der Ukraine. In: CSS Analysen zur Sicherheitspolitik, Nr. 278, Februar 2021. CSS ETH Zürich.

Morin, David (2021): Information Influence Operations: The Future of Information Dominance. The Cyber Defense Review, Volume 6, Number 1, Winter 2021.

Reginold, Remo (2018): Spin Politics – Machtpolitik anders lessen. In: Military Power Review der Schweizer Armee – Nr. 2 / 2018.

Rogers, Zac (2021): The Promise of Strategi Gain in the Digital Information Age: What Happened? The Cyber Defense Review, Volume 6, Number 1, Winter 2021.

Schaeublin, Emanuel/Abatis, Katrina (2020). Infectious Narratives: US, China, and COVID-19. Zürich: ETH Zürich.

Soesanto, Stefan (2021): The Dr House Approach to Information Warfare. The Cyber Defense Review, Volume 6, Number 1, Winter 2021.

Die Sicherheitspolitik der Schweiz. Bericht des Bundesrates. Stand 14. April 2021.