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Leben unter den Taliban

Juli 2023

Afghanistan wird seit bald zwei Jahren von den Taliban regiert. Berichte über ihre islamistische Herrschaft sind oft an polarisierenden Enden. Nicht wenige zeichnen eine Schreckensherrschaft, in der jeder vom Tod bedroht und kein normales Leben möglich ist. Die Taliban bestreiten dies und rühmen sich, Frieden und Ruhe in das kriegsgeschüttelte Land am Hindukusch gebracht zu haben, was von einigen anderen bestätigt wird. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen.

Ein Taliban-Soldat mit einer RPG-Panzerfaust an der umstrittenen afghanisch-pakistanischen Grenze in Bahramtscha, Helmand, Afghanistan (Franz J. Marty, 23. Dezember 2021)

Der Anblick von Taliban, viele dem Klischee entsprechend mit langen Bärten und Turbanen, ihre Sturmgewehre um die Schulter geschlungen oder nie weit entfernt, ist seitdem die Taliban im August 2021 in Afghanistan an die Macht zurückgekehrt sind in der afghanischen Hauptstadt Kabul sowie im ganzen Land zur Normalität geworden.

 

Dass diese ständig und überall die Millionen von Afghanen, die unter ihrer Herrschaft leben, terrorisieren, wie dies oft suggeriert wird, ist jedoch nicht der Fall. In der Tat sieht — trotz vieler Missstände und gewisser Unterdrückung — viel vom alltäglichen Leben in Kabul und anderswo in Afghanistan nicht viel anders aus als unter der international unterstützen vormaligen afghanischen Republik.

Das Leben geht weiter

In Kabul sind Leute von der Morgendämmerung bis spät in die Nacht zu Fuss, auf Velos, und in Autos auf den Strassen und gehen ihrem alltäglichen Leben nach, sei es zur Arbeit zu gehen oder von dort nach Hause zu kommen, Freunde oder Verwandte zu besuchen, oder Besorgungen zu erledigen. Für Letzteres sind in Kabul nach wie vor Geschäfte aller Art offen. Die Grossmehrheit dieser schloss selbst während der Taliban-Machtübernahme im August 2021 nur für ein oder zwei Tage. Einige waren gar während dieses unsicheren Machtwechsels durchgehend geöffnet. «Das Geschäft muss weitergehen,» sagte mir damals ein Ladeninhaber stellvertretend für viele andere. Strassenverkäufer rollen nach wie vor ihre Ware, von Gemüse und Früchten, über Kleider, bis Glühbirnen und vielem anderen, auf Karren durch verstopfte Haupt- und ruhigere Nebenstrassen. Kinder und Jugendliche spielen in Parks oder wo immer genug Platz ist. Fussball und Cricket sind beliebt genau wie Papierdrachen in den Himmel steigen zu lassen. Restaurants und Shisha-Lounges sind geöffnet. In einigen davon läuft Musik. Etwas dass unter der ersten Taliban-Herrschaft in den 1990er Jahren, während der die Taliban Musik strikt verboten hatten, undenkbar gewesen wäre. Oder der unter Afghanen äusserst beliebte Anti-Taliban-Sender ‘Afghanistan International’ flimmert über die vielen Flachbildschirme (selbst jede kleine Imbissbude hat in der Regel mindestens einen). Nachts schiessen Hochzeitsgesellschaften gelegentlich Feuerwerk in den Himmel oder fahren johlend in Autokorsos durch die Strassen. Vor einigen Monaten sah ich auch eine Hochzeitsgesellschaft in einem Bus auf der Strasse; innen tanzten alle wild.

 

Wenn man Geld hat, kann man in Afghanistan auch nach wie vor praktisch alles kaufen, sei es ein Monster Engerydrink, das neuste iPhone, ein Dandy-Outfit für den modernen Herr, Ballkleider, die Cinderella erblassen lassen würden, oder neuerdings auch Toyota Prius Hybrid-Autos, um nur einige Beispiele zu nennen. Und man findet auch nach wie vor mit der Taliban-Herrschaft völlig inkompatible Dinge, wie T-Shirts mit patriotischen amerikanischen Motiven oder Slogans von christlichen Freikirchen und Ego-Shooter Computerspiele mit amerikanischen Spezialeinheiten in der Heldenrolle. Zugegebenermassen verstehen die meisten Afghanen, die Botschaften auf den T-Shirts und in den Computerspielen nicht. In anderen afghanischen Städten sieht es ähnlich, wenn auch traditioneller aus.

Basar in Urgun, einer Stadt in der afghanischen Provinz Paktika. Der Afghane in der Mitte trägt einen Pullover der  amerikanischen University of Southern California. (Franz J. Marty, 10. November 2021)

Würden an den vielen Kontrollpunkten der Stadt keine bärtigen Taliban stehen und wären deren weisse Standarte mit dem schwarzen islamischen Glaubenscredo nicht überall zu sehen, würde man auf den ersten Blick kaum Unterschiede zur republikanischen Vergangenheit sehen.

 

Die allgegenwärtigen Taliban behelligen Leute im Alltag nur wenig. An den genannten zahlreichen Kontrollpunkten in Kabul und auch ausserhalb wird kaum je etwas kontrolliert. Oft sichtlich gelangweilte Taliban winken viele Autos ohne weiteres durch, andere werden bestenfalls mit einem kurzen Blick und ein zwei sinnlosen Fragen kontrolliert. Fussgänger werden sogar praktisch immer ignoriert. «Ich hatte noch nie Probleme» — das ist die Antwort, die ich von Dutzenden von Taxifahrern erhalten habe, nachdem ich nach ihren Erfahrungen mit Taliban-Kontrollpunkten gefragt hatte. Die meisten anderen Afghanen sagen Ähnliches. Dass sie mich aus Furcht vor den Taliban angelogen haben, kann ebenfalls ausgeschlossen werden, da die meisten danach schnell in Tiraden gegen die mannigfaltigen Missstände der Taliban-Regierung verfielen.

Grassierende Armut

«Es gibt kaum mehr Arbeit» — das ist das erste über was sich nicht nur Taxifahrer, sondern Afghanen aus allen Schichten und Branchen dann üblicherweise beschweren. Dass viele Afghanen in Armut leben, ist leider nichts Neues. Auch unter der Republik waren Bettler, von Kindern über Männern und Frauen jeglichen Alters, ein stetiger Anblick. Seit der Machtübernahme der Taliban hat sich die Lage aber verschlimmert. Internationale Hilfsorganisationen haben dies in zahlreichen Berichten dokumentiert. Ich selber habe es in verschiedensten Formen gesehen. Afghanen, die sich abends in der Hoffnung in lange Schlangen vor Bäckereien in Kabul einreihen, gratis wenigstens ein bisschen Brot zu kriegen, versinnbildlichen es wohl am klarsten.

 

Im Gegensatz zu früher betrifft die strauchelnde Wirtschaft heute auch praktisch jeden. Vor der Taliban-Machtübernahme hatten ebenfalls viele Mühe, über die Runden zu kommen, aber es gab auch zahlreiche Leute, die relativ erfolgreich Geschäfte und Handel betrieben. Seitdem die Taliban in Kabul einmarschiert sind, sind solche zur Ausnahme geworden. Ich hatte es mir zur Gewohnheit gemacht, in praktisch jedem Geschäft oder Restaurant, das ich besuchte, zu fragen, um wie viel das Geschäft eingebrochen war oder sich wieder erholt hatte. In den besseren Fällen nannte man mir Umsatzeinbrüche von 50%, in den schlechtesten, dass praktisch kaum mehr etwas übrig blieb.

 

In den Monaten direkt nach der Taliban-Machtübernahme war die Situation am düstersten. Seitdem hat sich die Wirtschaft zumindest etwas erholt. Dutzende Geschäftsinhaber sagen aber, dass es immer noch weit schlechter ist, als es unter der Republik je war. Die meisten Afghanen sehen daher nach wie vor keinerlei Zukunft in ihrem Heimatland. Viele sagen mir das direkt. Zahlreiche davon — darunter selbst einige Taliban — fragen mich, ob ich ein Visum zur Emigration arrangieren könnte.

 

Offiziell geben die Taliban in der Regel nichts davon zu und preisen angebliche Erfolge in ihrer Wirtschaftspolitik an. Wenn sie zumindest gewisse wirtschaftliche Probleme eingestehen, machen sie dafür in ihren Augen ungerechtfertigte internationale Sanktionen gegen ihr Regime verantwortlich. Einige Taliban sprechen von einem wirtschaftlichen Krieg gegen sie. Solche Sanktionen und der damit zusammenhängende Abzug von Entwicklungshilfe (humanitäre Hilfe wie Nahrungsmittel- oder medizinische Hilfe fliesst nicht nur weiterhin, sondern sogar umfangreicher als unter der Republik) spielen in der Tat eine grosse Rolle, dass Afghanistan in die derzeitige wirtschaftliche Misere gestürzt ist. Dass die Taliban wissen mussten, dass dies geschehen würde, wenn sie die Republik militärisch stürzen, und diese Krise bewusst in Kauf genommen haben, obwohl sie auch in Friedensverhandlungen die Oberhand hätten gewinnen können, lassen sie dabei beflissentlich aussen vor.

 

In Gesprächen mit Taliban wird auch klar, dass sie im Umstand, dass sie alles Westliche verteufeln, der Westen aber trotzdem Afghanistan mit Hilfsgeldern über Wasser halten soll, keinen Widerspruch zu sehen scheinen (Hilfe von nicht-westlichen Staaten macht nur einen sehr kleinen Teil aus). Dies sehen sie als ihr Recht an, offenbar weil Afghanistan in den letzten vier Jahrzehnten immer am ausländischen Tropf hing.

Bessere Sicherheitslage

Mit was die Taliban auftrumpfen können, ist die Verbesserung in der Sicherheitslage. Vor der Machtübernahme der Taliban gehörten Explosionen und Feuergefechte in vielen Städten und Dörfern sowie auf zahlreichen Haupt- und Nebenstrassen Afghanistans zur Tagesordnung. Zum Opfer fielen nicht nur Kämpfer beider Seiten, sondern auch viele Zivilisten. Für Tötungen von Zivilisten waren nicht nur Taliban, sondern auch ehemalige republikanische Streitkräfte und amerikanische Luftschläge verantwortlich.

 

Seit die Taliban die Republik umgestürzt haben, ist es demgegenüber signifikant ruhiger. Der afghanische Ableger des selbsternannten Islamischen Staates, der die Taliban seit jeher bekämpft, sowie einige demokratisch gesinnte anti-Taliban Widerstandsgruppen verüben zwar ab und zu Angriffe, diese bleiben aber mit wenigen Ausnahmen klein und sind keinesfalls mit dem zuvor landesweit tobenden Krieg zu vergleichen.

 

Die Taliban daher als Friedensbringer zur sehen, wäre jedoch verfehlt. Die unzähligen vorherigen Kriegsgeschehen wurden in den vergangenen Jahren grossmehrheitlich von den Taliban initiiert. Als solches haben sie nicht den Frieden gebracht, sondern nur ihren Krieg beendet.

 

Fairerweise muss man den Taliban jedoch zugestehen, dass es, angesichts der Tausenden bewaffneten Taliban und all dem bösen Blut, dass der Krieg in den vergangenen Jahren zwischen verschiedensten afghanischen Gruppen geschürt hatte, nach ihrer Machtübernahme zu überraschend wenigen bewaffneten Auseinandersetzungen und Vergeltungsakten gekommen ist. Die von den Taliban ausgerufenen Generalamnestie für ehemalige Soldaten der Republik hielt zwar nicht vollständig und es kam und kommt nach wie vor immer noch zu offenbaren Rachetötungen, systematische und gross angelegte blutige Vergeltungen gab es aber nicht, wie mir diverse ehemalige Soldaten bestätigten. Dies heisst keineswegs, dass man die Taliban dafür übermässig loben sollte. Jede offenbare Rachetötung ist eine zu viel und der Umstand, dass die Taliban solche nicht ernst nehmen, ist unerhört. Unmittelbar nach dem Fall von Kabul musste man jedoch weitaus Schlimmeres befürchten, was die Taliban jedoch abzuwenden vermochten.

 

Wie bedeutend diese alles andere als perfekte Verbesserung der Sicherheitslage für viele Afghanen ist, wird im Westen sodann oft nicht genügend verstanden. Viele Afghanen, selbst solchen die keinerlei Sympathien für die Taliban haben, schätzen nach Jahren des Krieges, in denen praktisch jeder Verwandte und Freunde verloren hat, die neue relative Sicherheit, die der Einzug der Taliban mit sich brachte.

 

Ob aus diesem Grund oder weil die meisten Afghanen Verschwörungstheorien glauben, wonach die Amerikaner und die Vereinten Nationen wollen, dass die Taliban Afghanistan regieren, und Afghanen ihr Schicksal nicht selber bestimmen können, nehmen zahlreiche Afghanen die repressive Taliban-Herrschaft in Kauf. Viele können sich den Luxus, sich über solche Dinge gross Gedanken zu machen, auch schlichtweg nicht leisten. Sie müssen sich darauf konzentrieren, sich und ihre Familien zu ernähren. Wer sie regiert, spielt für viele Afghanen keine signifikante Rolle.

Unterdrückung

Dass das Taliban-Regime repressiv ist, zeigt sich in den verschiedensten Formen. Sehr arg trifft es Mädchen und Frauen, die aus dem öffentlichen Leben verdrängt werden. Am Anfang war der Umstand, dass weniger Frauen auf den Strassen zu sehen waren, nicht von den Taliban angeordnet; es war vielmehr Furcht davor, was die Taliban allenfalls machen könnten, die viele Frauen dazu veranlasste, nicht mehr oder weniger aus dem Haus zu gehen.

 

Mit der Zeit änderte sich dies aber und die Taliban erliessen immer mehr Regeln, die Mädchen und Frauen radikal einschränken: von einem Gebot, der nach Taliban-Ansicht richtigen Verschleierung und der Notwendigkeit, dass Frauen auf längeren Reisen von einem männlichen Verwandten begleitet werden müssen, über die Schliessung von Sekundarschulen und Universitäten für Mädchen und Frauen und Verbote für afghanischen Frauen in nicht-staatlichen Hilfsorganisationen und der UNO zu arbeiten, bis hin zur Schliessung von Schönheitssalons. Diese Erlasse wurden teilweise, jedoch nur selten zwangsmässig durchgesetzt; oft führte wiederum die blosse Angst vor Taliban-Reaktionen zur Befolgung.

 

Während zahlreiche Afghanen, Frauen und Männer, diese Taliban-Politik kritisieren und bemerken, dass praktisch keine dieser Einschränkungen von Frauen vom Islam vorgeschrieben ist, ist sie für viele andere Afghanen nicht so radikal wie es scheinen mag. Bereits vor der Rückkehr der Taliban an die Macht trug jede Frau in Afghanistan mindestes ein Kopftuch, nicht wenige auch den im Westen mit Taliban-Repression gegen Frauen gleichgesetzten, meist hellblauen Ganzkörperschleier, den Ausländer Burka nennen, Afghanen aber als Tschadri bezeichnen. Einige machten dies freiwillig; andere wurden von ihren Familien dazu angehalten oder gezwungen; viele machten es, ohne sich gross Gedanken darüber zu machen, weil alle es immer so gemacht haben.

Eine afghanischen Frau läuft in einem Ganzkörperschleier an einer Talibanfahne vorbei, Mirdesh, Kamdesh Distrikt, Nuristan Provinz, Afghanistan (Franz J. Marty, 9. August 2021)

Die Vorstellung, dass Mädchen und Frauen frei und ungehindert alles machen können, ist für viele Afghanen ebenfalls alles andere als selbstverständlich. Dass Mädchen und Frauen mit nicht-verwandten Männern nicht interagieren sollen, ist für viele Afghanen beispielsweise normal. Praktisch in jedem afghanischen Haus, in das man als Mann eingeladen wird, sieht man nie eine Frau. Diese werden von den Männern des Hauses bewusst in Nebenräume gebeten, sobald ein männlicher Gast eintritt. Selbst in Häusern und Wohnungen von nahen Freunden, die ich über Jahre zig Mal besucht habe und die die Taliban völlig ablehnen, habe ich nie eine Frau gesehen.

 

Dies ist offensichtlich keine Rechtfertigung, Mädchen Schulbildung zu verweigern und Frauen aus dem öffentlichen Leben zu verbannen und die Anprangerung dieser Missstände ist mehr als nötig. Es zeigt jedoch, dass das Problem nicht mit den Taliban anfing und nicht bei diesen endet.

Proteste und Verhaftungen

Proteste gegen solche und andere Taliban-Anordnungen gibt es kaum mehr. Fehlender Unmut ist nicht der Grund dafür. Viele Afghanen, mit denen ich rede, machen in privaten Gesprächen keinen Hehl daraus, dass sie mit der derzeitigen Taliban-Politik nicht einverstanden sind. Wer etwas zu machen versucht, riskiert jedoch viel.

 

Anfängliche Demonstrationen in Kabul und anderswo zerstreuten die Taliban nicht nur mit Maschinengewehrsalven in die Luft, sondern mit zahlreichen Verhaftungen. Einmal sah ich selber wie nach einem Protest in Kabul zwei Taliban Pick-Ups wegfuhren. Auf den Ladeflächen zwischen schwer bewaffneten Taliban lagen gefesselte Demonstranten. Die Fahrzeuge fuhren in Richtung des zentralen Stadtteils Shash Darak, wahrscheinlich zum dortigen Gefängnis. Dieses war schon unter der afghanischen Republik berüchtigt und wurde von den Taliban übernommen. Wer — ob zu Recht oder Unrecht — signifikanten Übeltaten beschuldigt wird, hat eine gute Chance in Shash Darak zu landen.

 

In ihren bald zwei Jahren an der Macht, haben die Taliban zig Menschen verhaftet, fast alle davon Afghanen aber auch einige Ausländer. Viele davon haben sich wohl etwas zu Schulden kommen lassen; viele andere jedoch auch absolut nichts. In delikaten Fällen geben die Taliban kaum je oder nur fadenscheinige Gründe für eine Verhaftung an; in mehreren Fällen bestritten sie gar, gewisse Personen in ihrem Gewahrsam zu haben, gaben es später jedoch zu. Nicht wenige sehen nie einen Richter und werden nie formell konkreter Widerhandlungen beschuldigt. Einige Verhaftete kommen nach Tagen, andere nach Monaten frei. Andere sind nach wie vor in Gefangenschaft.

 

Ein Bekannter von mir wurde in einem Taliban-Gefängnis mehrmals grundlos geschlagen. Er sowie ein anderer berichteten von Schreien aus anderen Zellen, die auf weit Schlimmeres hindeuten.  Freigelassene sprechen höchstens selten über das, was ihnen widerfahren ist.

 

Angesichts solcher Umstände sind Afghanen und auch ich vorsichtig geworden. Jeder weiss, dass etwas zu machen, dass den Taliban allenfalls nicht gefällt, schwerwiegende Konsequenzen haben könnte. Noch schlimmer ist, dass man manchmal nicht einmal etwas getan haben, sondern nur fälschlicherweise beschuldigt worden sein muss. Meistens würde wohl nichts Gravierendes passieren. Aber wer will schon das Risiko eingehen, das genau herauszufinden.

 

Wenn ich und andere Leute Taliban auf solche oder andere Missstände ansprechen, werden diese als wahrheitswidrig zurückgewiesen. Selbst das Vorzeigen unwiderlegbarer Beweise ändert daran nichts.

 

Als solches und da die Taliban bisher keine nennenswerten Kompromisse eingegangen sind, gibt es wenig Hoffnung, dass sich die Lage in Afghanistan zum Besseren wenden wird. Dies gilt umso mehr, als dass sich die Taliban wahrhaft nicht nur als legitime Vertreter des afghanischen Volkes, sondern Bringer einer göttlichen Ordnung sehen, die unfehlbar sind. Trotz alle dem geht das normale Leben für Millionen von Afghanen in ihrem Heimatland weiter.

Franz J. Marty


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Kommentare: 1
  • #1

    Irene Böttcher-Möller (Mittwoch, 26 Juli 2023 13:29)

    Sehr geehrter Herr Marty,
    ein rundum gelungener Beitrag zur rechten Zeit! Informativ, ausgewogen und unaufgeregt.
    Macht Lust auf mehr Afghanistan...