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Metaverse und Virtual Reality in China

China antizipiert eine starke Entwicklung des Metaverse, welches die reale Welt mit dem digitalen Raum verschmelzen lässt. Es ist eine umfassende, vernetzte Dimension. Jedoch gibt es nicht das eine Metaverse, viel mehr fungiert das Konzept als Überbegriff. Folgender Beitrag zeigt nach einer kurzen Einführung in die Technologie auf, welche Art Metaverse China entwickelt und wofür es verwendet werden soll. Ausserdem wird die Sicht der Bevölkerung und die internationale Zusammenarbeit thematisiert.


Begriffsklärung

Metaverse befindet sich ziemlich am Anfang seiner Entwicklung und es ist nicht genau vorherzusehen, wohin die Reise geht. So gibt es auch nicht das eine Metaverse, jedes Metaverse hat Charakteristiken die stärker oder schwächer ausgeprägt sind. Was jedes Metaverse gemein hat, ist die Verschmelzung der realen mit der virtuellen Welt, auch beschrieben als die Immersion – das Eintauchen - in eine dreidimensionale virtuelle Welt. Dies geschieht ortsunabhängig und synchron zwischen vielen Menschen und die Interaktionen finden in Echtzeit statt. [1] Ein Metaverse kann sich einerseits an Unterhaltung und Konsum orientieren. Metaverse, beziehungsweise Prototypen davon, finden sich hier beispielsweise in der Gaming-Industrie. Es gibt aber auch solche mit Fokus auf soziale Beziehungen oder als dreidimensional virtuelle Einkaufserlebnisse. Metaverse können auch mit Blockchain verknüpft sein und so eine virtuelle Welt inklusive digitalem Wirtschaftssystem, Geld und weiteren Anwendungen bilden. Dies planen zum Beispiel aktuell die Vereinigten Arabischen Emirate mit dem Projekt MetaDubai. Die Metaverse-Stadt basiert auf Blockchain, Non-Fungible-Token (vgl. WTF ARE NFTs?!), Künstlicher Intelligenz und dezentraler Datenspeicherung. [2] Schliesslich kann Metaverse künftig auch in der Industrie eine wichtige Rolle spielen. Die Technologie soll in der Industrie zum Beispiel Produktionslinien und Fertigung von Produkten stärken und verbessern, dies durch Simulationen und Echtzeitdatennutzung – dies ist der Typ Metaverse, auf den China sich fokussiert, wobei westliche Unternehmen die Unterhaltungs- und Konsumbranche zu priorisieren scheinen. Alle sind jedoch noch auf der Suche nach dem grossen Durchbruch.

Chinas Ambitionen

Am 29. August 2023 veröffentlichte das Ministry for Industry and Information Technology (MIIT) die Strategie "Three-Year Action Plan for Innovative Development of the Metaverse Industry (2023-2025)". Der Plan ist Teil des langfristigen Ziels, ein weltweit führendes Metaverse-Ökosystem zu erschaffen. Konkrete Ziele bis 2025 sind beispielsweise Durchbrüche in der Technologie und Industrie. Die Strategie sieht ebenfalls vor, eine digitale Wirtschaft aufzubauen, welche die reale Wirtschaft ergänzt. Ausserdem will die Regierung die Governance rund um Metaverse ausbauen. [3]

Die Kommunistische Partei Chinas (KPC) unterstützt die Entwicklung des industriellen Metaverse durch Initiativen wie den Action-Plan und will weltweit eine führende Position einnehmen. Auf Metaverse-Konzepten, wie sie zum Beispiel in den USA mehrheitlich verbreitet sind, erlegt die Partei strenge Regulationen: so griff sie beispielsweise in der Gaming-Branche hart durch. Ein User berichtete gegenüber ABC News Australia, dass seine Gaming-Zeit auf drei Stunden pro Woche reguliert sei. [4] Auch auf Kryptowährungen hat die Regierung bereits starke Regulierungen gelegt, wodurch die Weiterentwicklung von Metaversen, die Kryptowährungen beinhalten, eingeschränkt ist. [5] Mit Kryptowährungen kann weltweit anonym Geld transferiert werden, diese Währungen unterliegen somit keiner staatlichen Regulierung wie reale Währungen. [6] Das Argument der chinesischen Regierung für die strengen Massnahmen ist, dass das Metaverse zuerst reguliert werden muss, bevor weitere Innovationen der Technologie entwickelt werden. [7]

Das staatliche Telekommunikationsunternehmen China Mobile schlug im August 2023 die Einführung des "Digital Identity System" für alle Benutzer:innen der Virtuellen Welt und Metaverse vor. Das System erinnert stark an Chinas Sozialpunktesystem. In der digitalen Identität sollen "natürliche" und "soziale" Eigenschaften dauerhaft gespeichert und mit der Strafverfolgung geteilt werden (vgl. Digital Twin). Dadurch solle die Sicherheit und Ordnung in der virtuellen Welt gewährleistet sein. Die Privatsphäre und Freiheit der Bürger:innen würde dadurch noch stärker eingeschränkt als bisher. [8]

Auch grosse Technologieunternehmen sind an Metaverse interessiert. Die chinesische Suchmaschine Baidu hat ein System von Avataren in VR, mit denen die Nutzer:innen interagieren können. Die Szenarien in VR, die durchlebt werden, kombinieren die Geschichte Chinas mit futuristischen Designs. Das Unternehmen Tencent (Gründer von WeChat) will durch Avatare virtuelle Interaktionen sozialer gestalten. Byte Dance (Gründer von TikTok) hat ebenfalls Avatare entwickelt, durch welche die Nutzer:innen mit anderen Personen kommunizieren können. [9] Wie stark sich die Unternehmen künftig aber auf Metaverse fokussieren ist umstritten. So berichtet Think China, dass ByteDance und Tencent ihre Metaverse-Abteilungen verkleinerten, da viele Herausforderungen in der Branche bestehen und die Nachfrage nach Metaverse unklar sei. Sie wollen sich vermehrt auf VR-Inhalte und generative Künstliche Intelligenz konzentrieren. [10]

Ein starker Fokus auf das industrielle Metaverse, die Verkleinerung der Metaverse-Abteilungen von bestimmten Unternehmen, die starken Regulierungen auf die Kryptowährungen und die Gaming-Branche – diese Punkte zeigen, dass China Metaverse nicht primär in der Unterhaltungsbranche verwendet sehen möchte, sondern der Nutzen in der praktischen und industriellen Anwendung angestrebt wird. 

Sicht der Bevölkerung

Konsument:innen sind oftmals fasziniert von Metaverse und ähnlichen Konzepten. Laut einem Artikel von China Briefing sind 78% der chinesischen Metaverse-Nutzer:innen interessiert an der interaktiven Gaming-Welt. Diese Zahlen sind im internationalen Vergleich hoch (USA 57%, UK 47%). 82% der Interessierten stehen Metaverse ausserdem positiv gegenüber und sehen Potentiale und Vorteile. [11] Eine Untersuchung der Wahrnehmung und dem Verständnis von VR und Metaverse unter chinesischen Nutzer:innen von iiMedia Research ergab, dass 78% der Chines:innen positiv gegenüber Extended Reality (XR) eingestellt sind – im Vergleich, der globale Durchschnitt liegt bei ca. 28%. Ausserdem weist fast die Hälfte (46%) ein gutes Verständnis von Metaverse auf, 16% ein starkes Verständnis und 26% ein Basisverständnis. Allerdings bringt das Metaverse durchaus auch Nachteile für die Menschen mit sich, deren sich die Bevölkerung teilweise auch bewusst ist. Als grösstes Problem, so eine Umfrage von iiMedia Research, wird ein Risiko zur virtuellen Sucht gesehen, gefolgt von Soziophobien im realen Leben und Eingriffe in die Privatsphäre. Klar ist, dass das Metaverse die Gesellschaft beeinflusst, aber wie stark und in welchen Lebensbereichen genau, lässt sich zum aktuellen Zeitpunkt schwer sagen. [12]

 

Internationale Zusammenarbeit

Die chinesische Konzeption des Metaverse unterscheidet sich beispielsweise von US-amerikanischen Ideen und Nutzen von Metaverse wie Meta (ehemals Facebook) oder Microsoft. Diese sind vor allem auf Konsum und Unterhaltung ausgelegt, wobei China das Metaverse hauptsächlich für die Entwicklung der Industrie gebrauchen will. [13] Ausserdem ist Metaverse in China viel stärker reguliert und von Policies geleitet, als dies in den USA der Fall ist. [14]

In der internationalen Regulierung von Metaverse spielt die Internationale Fernmeldeunion (ITU) der UNO eine wichtige Rolle. China bringt mehr Vorschläge zur Regelung von Metaverse ein als zum Beispiel die USA oder europäische Länder. Sie versuchen dadurch die Policies langfristig zu beeinflussen und Standards nach chinesischen Vorlieben zu gestalten. Denn um global führend in der Technologie zu sein, wie China dies plant, braucht der Staat bestimmte internationale Standards. [15] Ob sie mit ihren Interessen in der ITU durchkommen, wird sich in Zukunft zeigen. Es ist durchaus möglich, dass sich auch andere Länder mehr in die Richtung des industriellen Metaverse entwickeln, um mit China mitzuhalten. Schliesslich könnte auch beim westlichen Konzept von Metaverse und Virtual Reality am Schluss der konkrete Nutzen für Wirtschaft und Industrie erst den erhofften Durchbruch bringen.

Die KPC beschreibt, sie wolle eine multilaterale, demokratische und internationale Metaverse-Governance fördern. Dazu gehören zum Beispiel internationale Austauschprogramme, um Ressourcen und Talente in das Land zu holen. Gleichzeitig ist die komplexe Regulierung des Metaverse in China eine grosse Herausforderung für ausländische Unternehmen. Insbesondere Datenschutz, Datenexport und die Regulierung von KI stellen Probleme dar. [16]

Fazit

Die chinesische Regierung fördert die Metaverse-Technologie vor allem für die Industrie. Sie antizipiert internationale Kooperationen und will global führend in der Branche werden. Zu diesem Zweck versucht sie, ihre Interessen in internationalen Organisationen wie der ITU geltend zu machen und dort Standards zu setzen. Gleichzeitig kontrolliert die Regierung die Entwicklung des Metaverse – besonders einzelner Bereiche - genau, setzt Regulierungen durch und will ein digitales Identitätssystem einführen. Dies ist einerseits ein weiterer Eingriff in die Privatsphäre der Bevölkerung, andererseits stellen die Regulierungen auch ausländische Unternehmen vor grosse Herausforderungen. Das Narrativ der chinesischen Regierung der praktischen Anwendung des Metaverse kann auch in westlichen Ländern Anklang finden, wo bisher die Unterhaltungs-, Gaming- und Konsumbereiche des Metaverse im Mittelpunkt stehen. Einerseits durch die neuen Entwicklungen und Technologien, welche durch industrielle Metaverse entstehen können, andererseits haben Chinas Pläne auch geopolitische Auswirkungen, wie beispielsweise die Regulierungen in der ITU, wovon alle Staaten dann betroffen sind. Diese können Interesse entwickeln, die eigenen Metaverse-Technologien auf die Industrie auszuweiten, um mit China mithalten und in der ITU Einfluss nehmen zu können. 

 

Svenja Jakob


[1] Kreutzer, R. T, Klose, S. (2023). Metaverse kompakt, Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, S.10-11, https://doi.org/10.1007/978-3-658-40438-3
[2] Kreutzer, R. T, Klose, S. (2023). Metaverse kompakt, Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, S. 40, https://doi.org/10.1007/978-3-658-40438-3
[3] Tan (25.09.2023). China announces its 2025 actions for Metaverse, Taylorwessing, Zugriff: 24.11.2023
[4] China Tonight ABC News (2022). Is China's Metaverse better than the West's?, ABC News Australia, Zugriff: 24.11.2023
[5] Jiang, Y. (2023). China's metaverse is all about work, Wired, Zugriff: 24.11.2023
[6] Kreutzer, R. T, Klose, S. (2023). Metaverse kompakt, Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, S.115, https://doi.org/10.1007/978-3-658-40438-3
[7] China Tonight ABC News (2022). Is China's Metaverse better than the West's?, ABC News Australia, Zugriff: 24.11.2023
[8] Volpicielli, G. (2023). Beijing is coming for the metaverse, Politico, Zugriff: 24.11.2023
[9] Interesse, G. (2023). China’s Debut in the Metaverse: Trends to Watch (Updated), China Briefing, Zugriff: 24.11.2023
[10] Think China (2023), Tencent, ByteDance gut metaverse units in virtual reality check, Think China, Zugriff: 24.11.2023
[11] Interesse, G. (2023). China’s Debut in the Metaverse: Trends to Watch (Updated), China Briefing, Zugriff: 24.11.2023
[12] Uzunoglu, C. (2023). Metaverse: China's Adaption, Ecommercedb, Zugriff: 24.11.2023
[13] Jiang, Y. (2023). China's metaverse is all about work, Wired, Zugriff: 24.11.2023
[14] China Tonight ABC News (2022). Is China's Metaverse better than the West's?, ABC News Australia, Zugriff: 24.11.2023
[15] Interesse, G. (2023). China’s Debut in the Metaverse: Trends to Watch (Updated), China Briefing, Zugriff: 24.11.2023
[16] Tan (2023). China announces its 2025 actions for Metaverse, Taylorwessing, Zugriff: 24.11.2023 

Abb. 1: Internetworld

Abb. 2: Iberdrola