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Strategische und sicherheitspolitische Empfehlungen für die Schweiz

Der Krieg in der Ukraine führt uns seit bald fünf Monaten vor Augen, dass kinetische und territorial geführte Konflikte nach wie vor Realität sind. Der klassisch militärische Angriff durch Russland hat aber geopolitisch weit mehr Implikationen als vordergründig sichtbar. Es werden bereits diverse geostrategische Spillover-Effekte sichtbar. Letztlich ist der Krieg in der Ukraine in diesem Kontext als Provokation und Herausforderung des westlichen Wertesystems durch andere Weltregionen und Ordnungsvorstellungen zu lesen. 

SIGA hat unter diesem Gesichtspunkt Handlungsempfehlungen für eine holistisch verstandene «Sicherheitsarchitektur Schweiz» zusammengetragen:

  1. Räume der neuen Machtpolitik: Es geht dabei um den Informationsraum, den Indopazifik, den Weltraum, die Arktis sowie den virtuellen Raum. Neue Allianzen und Konstellationen jenseits der europäisch-amerikanischen Norm werden dominanter; die pragmatische Achse China-Russland-Indien wird als Option gehandelt, die Shanghai Cooperation Organisation (SCO) aber auch die BRICS-Staaten gewinnen an Momentum wobei auch die Golfstaaten, Afrika, Südamerika, Indien und Russland neue Opportunitäten wahrnehmen können. Diese multioptionalen Machtverschiebungen darf man nicht ausser Acht lassen. Ein Revival der Kalten-Krieg Rhetorik ist darum narrativ irreführend. Es braucht innerhalb der Schweizer Sicherheitsarchitektur einen Kompetenz- und Knowhow-Aufbau, um in diesen Räumen vernetzt antizipieren und clever handeln zu können.
  2. Zukünftige Abhängigkeiten: Heute sind wir im Westen und der Schweiz vor allem noch von Gas, Öl, allenfalls Nahrungsmitteln und klassischen Rohstoffen abhängig. Was sind aber die Abhängigkeiten der Zukunft, müsste die strategisch-vorsorgliche Frage lauten. Cyberinfrastrukturen, Daten, Technologien, neue Rohstoffe wie Lithium und seltene Erden sowie juristische Standards (Normen) könnten die Abhängigkeiten der Zukunft begründen. SIGA plädiert für eine interdisziplinäre Antizipation und zukunftsgerichtete Lageanalyse, die diesen strategischen Phänomenen Rechnung trägt.
  3. Strategische Informationsraum-Verteidigung: Zur Etablierung einer strategischen Informationsraum-Verteidigung braucht es persönliches Leadership, welches an anerkannte wissenschaftliche, redaktionelle und juristische Standards der Interpretation anknüpft. Zudem sind interdisziplinäre und vernetzte Strukturen zu schaffen, die bewusste Reflexionsschlaufen und verschiedene Blickwinkel in der Bewertung und Beurteilung integrieren (vgl. «Empfehlungen für eine strategische Informationsraum-Verteidigung»).
  4. Fused Intelligence Center Bund: Auf Stufe Bund braucht es im Bereich Antizipation und Lageanalyse zwingend eine Kultur der «Joint-Praxis» über alle Departemente hinweg (vgl. Multidomain-Kultur). Der Umgang, die Interpretation und Verbreitung von Informationen stellen eine der grössten Herausforderungen dar. Daher sollte ein strategisches Fused Intelligence Center als Wissens-Cluster inkl. Analyse, Antizipation und Kommunikation zwischen EDA, WBF, EJPD, UVEK, EFD sowie BK aufgebaut werden. Dieses Center sollte mit der Wissenschaft und Think Tanks angereichert werden.
  5. Reorganisation VBS und Gruppe Verteidigung: SIGA empfiehlt eine neue Kultur der Gesamtverteidigung jenseits des militärischen Begriffs zu etablieren. Der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, wie wichtig die zivile Führung, Kommunikation, Vernetzung und der Rückhalt in der Gesellschaft sind. Eine Gesamtverteidigung 4.0, die Psychologie, Symbolik, aber auch Wirtschafts-, Finanz- und Währungspolitik sowie Informations- und Kommunikationspolitik strategisch verhandelt, ist dringend nötig. Dafür müsste auch das VBS und die Gruppe Verteidigung strukturell verändert werden, und dem Element der Strategie und Kollaborativität müsste mehr Raum gegeben werden. Wir empfehlen daher die Gruppe Verteidigung neu als Staatssekretariat zu organisieren (Artikel Schweiz am Wochenende vom 9.7.2022). Mit der Schaffung einer zivilen, militärstrategischen Führung im Bereich Verteidigung würden auch die eigentlichen Streitkräfte eine Stärkung und Aufwertung erfahren. Verwaltung und Armee, sowie Strategie und Operationen würden konsequent getrennt. Dabei stünden schlanke Strukturen, das Milizprinzip verstanden als aktive Verbindung zwischen Armee und Zivilgesellschaft, sowie die strategische interinstitutionelle Vernetzung im Zentrum.

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Strategische und sicherheitspolitische Empfehlungen für die Schweiz
Erste Erkenntnisse aus dem Krieg in der Ukraine
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