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Neuer geopolitischer Machtpoker – Multiple Unsicherheiten als Herausforderung für Europa

SIGA-Medienmitteilung


Die Entwicklungen in den letzten Wochen haben gezeigt, dass der Einmarsch Russlands in die Ukraine geopolitische Machtverschiebungen produziert, bei denen Europa leider nur noch eine Nebenrolle einzunehmen scheint. Es wird immer offensichtlicher, dass Putin strategisch genau auf diese Schwächung und Marginalisierung Europas hinarbeitet. Dabei werden lokale Ereignisse, wie beispielsweise die Umstürze in Sri Lanka durchaus im Rahmen dieser neuen Machtpolitik von diversen Akteuren in ihre geopolitische Gleichung eingerechnet. Die Kulmination von variablen und mehrdeutigen Umwälzungen ist etwas, womit Europa – und auch die Schweiz – in ihrer reaktiven Herangehensweise nicht mehr clever umzugehen weiss und daher droht, global abgehängt zu werden.

Erfahrungen aus Colombo

SIGA-Fellow Dr. Tanuja Thurairajah aus Colombo (Sri Lanka) berichtet, dass trotz der Räumung ihres Camps die Demonstranten beschlossen haben, friedlich ihre Proteste fortzusetzen. Die Eliten in Colombo wiederum unterstützen den neuen Präsidenten Ranil Wickremasinghe und scheinen erfolgreich die Protestbewegung zu spalten. Die staatliche Gewalt gegen mögliche Proteste wird voraussichtlich ziemlich rücksichtslos sein. Ein gewaltbereiter «Deep-State» offenbart sich in der Zusammenarbeit zwischen Wickremasinghe und dem verjagten Präsidenten Rajapakse. Die geopolitische Gemengelage hilft zudem diesen «Deep-State» zu entschlüsseln: China ist in den Hintergrund getreten, als sich die Wirtschaftskrise in Sri Lanka verschärfte, fordert aber immer noch unumwunden seine Kredite zurück, knapp 20 Prozent der Schulden Sri Lankas. Indien wiederum lieferte konsequent humanitäre Hilfe und Kredite, allerdings auch zu seinen "Bedingungen". Indien befürchtet nämlich, dass solche Protestwellen in gewissen indischen Gliedstaaten sich wiederholen könnten. Sri Lanka musste vermutlich für Indien aber womöglich sogar für die USA und Türkei, die ähnliche Proteste befürchten, ein Exempel statuieren. Die sich vielerorts anbahnenden ökonomischen Krisen könnten durchaus Brandschleuniger für zahlreiche Protestbewegungen und Umstürze in unterschiedlichen Weltregionen sein. Sri Lanka war dabei nur das vorgelagerte Modell. Pakistan, Türkei oder Kenia könnten das nächste Sri Lanka werden. Diese Instabilitäten werden Russland, aber auch China in ihre strategischen Gleichungen mitaufnehmen. 

Putin spielt mit Europa

Macht- und Geopolitik wird heute auch mit Verteuerung der Nahrungsmittel, Energiekosten und komplexer Geldpolitik betrieben. Harte und militärische Interventionen sind dabei nur ein Mittel zum Zweck. So sieht man, dass mit Nordstream 1 Putin stets diese Druckmittel auszuspielen wusste. Europa war und ist von Nordstream 1 abhängig. Der soeben geschlossene Iran-Deal und das Weizen-Abkommen mit der Türkei sind Vorboten schleichender Neuformierungen rund um Russland, Türkei und Iran auf regionaler Ebene, aber auch China, Indien und Russland schaffen auf globaler Ebene neue Konstellationen um mit Machtpolitik, Energie- und Geldpolitik eine neue Weltordnung zu provozieren.

Weitere Unsicherheiten am Rande Europas

Für Europa heisst dies beispielweise, dass Unruhen und Kriege um das Mittelmeer, infolge Nahrungskrise und hohen Treibstoffpreisen drohen. Zudem werden neue Pleitestaaten gepaart mit weltweiten Protestwellen befürchtet, die demokratische aber auch antidemokratische Kräfte heraufbeschwören können. Dies führt zur Schwächung Europas durch multiple Krisen (vgl. Geldwertstörungen, Lieferketten-Abhängigkeiten, Energieknappheit aber auch kommende Probleme wie organisierte Kriminalität, grosse Migrationswellen oder Normenverschiebungen im internationalen Recht insbesondere im Bereich neuer Technologien). Diese Komplexität, Mehrdeutigkeit und Geschwindigkeit verlangt nach holistischen Sicherheits- und Verteidigungsarchitekturen mit einer entsprechenden Vernetzungs- und Kollaborationskultur.


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Multiple Unsicherheiten als Herausforderung
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